1972–1989
AUFSTIEG ZUM FLAGGSCHIFF DER EDEKA-GRUPPE
Durch den Zusammenschluss zur EDEKA Minden-Hannover entsteht 1972 die mit Abstand größte EDEKA-Genossenschaft in der Bundesrepublik. Als mit Ölkrise und Rezession die goldenen Wirtschaftswunderjahre enden, eröffnet die EDEKA Minden-Hannover als Pionier im EDEKA-Verbund die ersten Discount-Märkte.
1979 gelingt mit einem Umsatz von 1,038 Milliarden D-Mark der Sprung über die Milliardengrenze. Durch weitere Fusionen und Beteiligungen, unter anderem am Bäckereibetrieb Schäfer´s, entsteht ein breit aufgestellter Unternehmensverbund. Um den Austausch untereinander und mit den Kaufleuten zu fördern, finden ab 1985 wöchentliche Warenbörsen statt.
Ende der 1980er-Jahre steigt die EDEKA Minden-Hannover bei der langjährigen Mitgliedsfirma Wilhelm Klages ein – und baut damit ihren Vorsprung weiter aus.
Fusion zur EDEKA Minden-Hannover
Am 1. Januar 1972 schließen sich die EDEKA Minden-Osnabrück, die EDEKA Hannover und die EDEKA Hildesheim-Alfeld zur EDEKA Minden-Hannover zusammen.
Die Fusion ist noch von Georg Teichmann eingefädelt worden, doch weil er am 22. November 1971 einem Herzinfarkt erliegt, erlebt er die „stolze Krönung seines Lebenswerkes“, so ein Nachruf, nicht mehr. Teichmann war es auch, der den Aufsichtsrat auf eine arbeitsfähige Größe brachte. Als bei einer ersten Sitzung aller Aufsichtsräte der drei Genossenschaften „der Raum aus allen Nähten platzte“, erinnert sich Karl-Heinz Preuß, bat Teichmann alle Anwesenden, die Kaufleute aufzuschreiben, die ihrer Meinung nach für den Aufsichtsrat besonders geeignet waren – und verkleinerte das Gremium so auf unter zehn Mitglieder.
An der Spitze der fusionierten EDEKA Minden-Hannover mit ihren 956 Mitgliedern stehen Artur Burkel und Joachim Schmidt aus Minden sowie Wilhelm Hartmann von der EDEKA Hannover. Die mit Abstand größte EDEKA-Genossenschaft in der Bundesrepublik erwirtschaftet mit 1.081 Mitgliedsgeschäften, 28 Regiemärkten und sechs C+C-Betrieben einen Jahresumsatz von 459 Millionen D-Mark. Allerdings knirscht es in der ersten Zeit. Eindringlich appelliert Artur Burkel an alle Mitarbeiter und Genossen: „Probleme werden nicht damit gelöst, dass man mit Achselzucken auf die ‘Anderen‘ verweist, die doch heute gar keine Anderen mehr sind. Um das Miteinandersprechen darf ich Sie heute noch einmal herzlich bitten.“
Weil genossenschaftsrechtliche und steuerliche Probleme einer „nachhaltigen Entwicklung der Genossenschaft als Marktfaktor“ entgegenstehen, so der Geschäftsbericht 1972, ändert sich, wie auch bei anderen EDEKA-Genossenschaften, parallel zur Fusion die Gesellschaftsstruktur: Am 1. Januar 1972 entsteht die EDEKA Minden-Hannover Handelsgesellschaft mbH, an der neben den drei Genossenschaften die EDEKA-Einzelhändler als stille Gesellschafter sowie die EDEKA-Zentralhandelsgesellschaft beteiligt sind. Die „DNA“ der EDEKA wird jedoch nicht angetastet: Der EDEKA-Kaufmann ist und bleibt das „entscheidungsbildende Element“, so der Geschäftsbericht 1972.
AUSBILDUNG UND
NACHWUCHSFÖRDERUNG
Bis weit in die 1950er-Jahre hinein sind für die jungen Männer und Frauen bei der EDEKA Minden die Lehrjahre keine Herrenjahre, so auch für den späteren Vorstand Joachim Schmidt, der 1954 als kaufmännischer Lehrling in einem EDEKA-Geschäft in Bad Oeynhausen anfängt
Gleich im ersten Monat fallen ihm beim Einräumen drei Flaschen Eierlikör herunter. Seine Chefin verrechnet sie mit seinem Lohn – und Joachim Schmidt geht ohne einen Pfennig nach Hause.
Die Discountwelle rollt heran
1973 wagt die EDEKA
Minden-Hannover den Einstieg
ins Discount-Geschäft.
„Wir waren die Ersten in der EDEKA-Gruppe, die gesagt haben: Wir machen Discount. Die Zeit ist reif. Wir können doch nicht zusehen, wie dieser Markt an EDEKA vorbeigeht“, erinnert sich Joachim Schmidt. Die Zeiten haben sich geändert: Die fetten Jahre des Wirtschaftswunders sind vorbei. Als die arabischen Staaten im Herbst 1973 die Erdölpreise drastisch erhöhen und die Liefermenge drosseln, schnellen die Energiekosten in die Höhe. Als Reaktion auf die Ölkrise verhängt die Bundesregierung an vier Sonntagen ein Fahrverbot. 1974 herrscht Flaute in der Bundesrepublik: Das Bruttosozialprodukt stagniert, die Arbeitslosenquote steigt auf 2,5 Prozent. Weil die Bundesbürger bei den Ausgaben für Lebensmittel sparen, verbucht der Einzelhandel einen Umsatzrückgang von 1,6 Prozent.
Die „wirtschaftliche Entwicklung und damit zusammenhängend das preisbewusste Verhalten der Verbraucher“ führen zu einer „raschen Ausweitung der Discountwelle“, beobachtet die EDEKA Minden-Hannover 1974. Das Vertriebskonzept stammt aus den USA. Dort machen seit den 1930er-Jahren „Discount Houses“ den anderen Lebensmittelgeschäften mit deutlich niedrigeren Preisen Konkurrenz. In der Bundesrepublik stellen die Brüder Karl und Theo Albrecht 1962 die erste Filiale ihres Essener Lebensmittelfilialunternehmens auf Discount um: Bei Albrecht Diskont (ALDI) stehen die Waren in Kartons auf Paletten. Daneben bietet der erste westdeutsche Discounter weniger Produkte als andere Lebensmittelgeschäfte an und verzichtet auf Service und Bedienung. Das Konzept geht auf: Mitte der 1970er-Jahre betreibt allein ALDI SÜD 500 Filialen in West- und Süddeutschland. Dabei erzielen die Niedrigpreisgeschäfte mit bis zu 18.000 D-Mark pro Quadratmeter deutlich höhere Umsätze als der traditionelle Lebensmitteleinzelhandel mit durchschnittlich 5.400 D-Mark.
Für den Aufbau der Discount-Schiene ist bei der EDEKA Minden-Hannover Horst Kohrs (späterer Vertriebsgeschäftsführer) verantwortlich. „Wir sind in der Gegend herumgereist und haben uns alle möglichen Discounter angesehen“, erzählt er. 1973 eröffnet der erste NP-Markt in Osnabrück, schnell folgen weitere. Mit einem eigenen Logo haben sie einen von EDEKA unabhängigen Marktauftritt. Frank-Rainer Kaul, damals im NP-Vertrieb und späterer Einkaufsgeschäftsführer, erinnert sich noch gut an die Anfangszeit: „Du warst da Allrounder. Ich habe selbst Regale eingerichtet und erste Abkommen mit Industriepartnern verhandelt.“ 1978 gibt es bereits 19 NP-Märkte. Mit rund drei Prozent verzeichnen sie ein höheres Wachstum als alle anderen Regiemärkte der EDEKA Minden-Hannover.
WARENSCANNER UND BARCODE,
ENDE DER 1970ER-JAHRE
Es ist nur ein kleines Gerät aus Hartplastik, doch es erleichtert den Mitarbeitern in den Märkten der EDEKA Minden-Hannover die Arbeit erheblich: der Warenscanner.
Bisher mussten sie alle Artikel mit Preisetiketten auszeichnen und an der Kasse die Preise von Hand eintippen. Nun fahren sie einmal mit dem Barcodelesegerät über den Strich-code auf den Produkten – und haben den richtigen Betrag in der Kasse. Seit 1977 ein Augsburger Verbrauchermarkt als erster westdeutscher Supermarkt auf Scanner umstellt, setzt sich das neue System rasch in der ganzen Bundesrepublik durch. Gleichzeitig sind immer mehr Produkte mit der European Article Number (EAN) gekennzeichnet, einem 1977 in Westdeutschland und elf weiteren europäischen Staaten eingeführten einheitlichen Strichcode.
NEU BEI EDEKA
DIE AUSWAHL WIRD IMMER GRÖSSER Zwischen Anfang der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre nimmt bei der EDEKA Minden-Hannover allein im Bereich Quark und Joghurt die Zahl der Artikel von rund 70 auf über 270 zu. Auch in anderen Bereichen wachsen die Sortimente kräftig. Im Trend liegen vor allem fettreduzierte Produkte.
Neu im Sortiment sind z. B.
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BiFi
(1972)
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Mövenpick Eis
(1972)
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Du darfst
(1973)
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Milchschnitte
(1978)
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5 Minuten Terrine
(1979)
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Müller Milch
(1983)
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Coca Cola Light
(1983)
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Milka Lila Pause
(1986)
Rum und Würfelzucker
IM
FOKUS
Schnee, Schnee und kein Ende in Sicht: Besorgt sieht der Geschäftsführer der EDEKA Nordwest, Hilko Gerdes, aus dem Fenster. Seit Ende Dezember 1978 schneit es ohne Unterbrechung, Stürme haben den Schnee zu hohen Verwehungen aufgetürmt.
Weil zahlreiche Straßen nicht mehr passierbar sind, sind etwa 80 Dörfer in Schleswig-Holstein von der Außenwelt abgeschnitten. In vielen Landkreisen gilt der Katastrophenalarm. Auch die EDEKA-Laster bleiben in den Schneemassen stecken und können nicht mehr alle Geschäfte beliefern. Da klingelt das Telefon. „Mich erreichte ein Notruf aus Borkum, dass wir die Notversorgung sicherstellen müssen“, erinnert sich Hilko Gerdes, damaliger Geschäftsführer der EDEKA Nordwest. Das ist eine logistische Herausforderung: Bundeswehrpanzer müssen den Lastwagen den Weg zum Hafen in Emden bahnen. Es geht alles gut, und das Schiff mit den Waren erreicht die Insel. Doch als Hilko Gerdes später die Rechnung sieht, traut er seinen Augen kaum: „80 Prozent der Lieferung bestanden aus Spirituosen, vor allem aus Rum und Würfelzucker. Damit haben sich die Borkumer offensichtlich warmgehalten“, erzählt er schmunzelnd.
NEUE GESCHÄFTSFELDER
AUF DEM WEG ZUM
UNTERNEHMENSVERBUND
In den 1970er- und 1980er-Jahren erwirbt die EDEKA Minden-Hannover Beteiligungen und erschließt neue Geschäftsfelder. „Es gab immer den Wunsch, nach vorne zu marschieren, alle Marktchancen wahrzunehmen. Das war ein ständiger innerer Motor“, erinnert sich Joachim Schmidt (ehemaliger Vorstand). Aus der EDEKA Minden-Hannover wird ein breit aufgestellter Unternehmensverbund mit Fleisch-, Wurst- und Backwarenproduktionsgesellschaften, in Regie betriebenen Fachmärkten und einem eigenen Tiefkühlheimdienst.
Expansion
Auch Schäfer’s expandiert. 1988 übernimmt der Bäckereibetrieb, inzwischen eine 100-prozentige Tochter der EDEKA Minden-Hannover, das Hannoveraner Traditionsunternehmen Meffert mit 17 Filialen.
Umsatz 1976
8 Mio. D-Mark
Umsatz 1988
48,7 Mio. D-Mark
Fusionen
Die EDEKA Minden-Hannover wächst auch durch Fusionen. Ende der 1970er-Jahre gilt sie als „Flaggschiff der Edeka-Gruppe“ und zählt zu den 300 größten Unternehmen in der Bundesrepublik.
1976
Verschmelzung mit der EDEKA Hameln Holzminden
1976
Verschmelzung mit der EDEKA Harz-Heide
Fakten
Einführung des
„Gutfleisch“-Programms
Im Frühjahr 1989 bieten die ersten Supermärkte im Absatzgebiet der EDEKA Minden-Hannover neue Wurst- und Fleischspezialitäten an: die „Gutfleisch“-Produkte.
Das Qualitätsfleischprogramm stellt eine kontrollierte Prozesskette von der Geburt der Tiere bis zur Ladentheke sicher und garantiert, dass das hochwertige Fleisch möglichst aus Deutschland von nach besonderen Vorgaben gemästeten Rindern stammt.
Am „Gutfleisch“-Programm wurde auf Initiative des für den Geschäftsbereich Fleisch- und Wurstwaren (Bauerngut) verantwortlichen Hans-Werner Hannemann zwei Jahre gearbeitet, zuletzt unter Hochdruck. Denn im Sommer 1988 erschüttert ein Hormonskandal bei Kalbfleisch die bundesdeutschen Verbraucher. Als bekannt wird, dass einige Mastbetriebe nicht zulässige Substanzen als Mastbeschleuniger verfüttert haben, müssen über 4.000 Tiere getötet werden. Wochenlang berichten die Medien über die „Schweinerei mit dem Fleisch“, so „Der Spiegel“. Die EDEKA Minden-Hannover ist zwar nicht direkt betroffen, stellt aber einen „spürbaren Rückgang des gesamten Fleischverzehrs“ fest – und beschleunigt die Vorbereitungen für die „Gutfleisch“-Einführung. Wegen der höheren Preise ist allerdings anfangs manch ein EDEKAner skeptisch. Der stellvertretende Leiter des Fleischwerks Karl Knippertz überzeugt nach und nach Marktleiter und selbstständige Kaufleute, das Fleisch ins Sortiment aufzunehmen, auch indem er ihnen leckere frisch gebratene „Gutfleisch“-Steaks serviert.
Gleichzeitig setzt die EDEKA Minden-Hannover auf Transparenz. Weil sich in den 1980er-Jahren Lebensmittelskandale häufen, nimmt das Interesse der Verbraucher an der Herstellung von Nahrungsmitteln zu – und die Fleischwerke der EDEKA Minden-Hannover in Minden, Soltau und Bockum-Hövel bieten Betriebsbesichtigungen für Einzelhändler, Großverbraucher und Endkunden an. „Das war ein großer Aufwand“, erzählt Karl Knippertz. Doch es lohnt sich: Weil die Verbraucher der EDEKA Minden-Hannover vertrauen, verzeichnet die Fleisch- und Wurstwarensparte der Genossenschaft 1989 gegen den Trend eine Umsatzsteigerung um rund 19 Prozent auf 231,7 Millionen D-Mark.