1948–1971

ES GEHT AUFWÄRTS!

In den Wirtschaftswunderjahren erlebt die EDEKA Minden einen rasanten Aufschwung – und verbucht zum Teil zweistellige Zuwachsraten. Gleichzeitig ändert sich einiges in den Geschäften: Immer mehr EDEKA-Kaufleute stellen auf Selbstbedienung um und bieten Tiefkühlkost an.

1961 schließt sich die EDEKA Minden mit der ­EDEKA Osnabrück zusammen und wagt im Jahr darauf den Sprung ins Großverbrauchergeschäft: 1962 ­eröffnet in Bad Oeynhausen der erste C+C-Markt der Genossenschaft. Im Einzelhandel folgt 1968 das in Eigenregie betriebene „City-Einkaufszentrum“ in Herford. Zwei Jahre ­später hat die EDEKA Minden-Osnabrück doppelt Grund zu feiern: 50 Jahre nach ihrer Gründung ­erzielt sie 1970 erstmals über 250 Millionen ­D-Mark ­Umsatz – und ist damit unangefochtene Nummer eins im EDEKA-Verbund.

Umzug ins Dreiringwerk

1953

Anfang der 1950er-Jahre wird es in der Kutenhauser Straße eng für die EDEKA Minden. Denn seit die Einführung der D-Mark 1948 den  Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik eingeläutet hat, erlebt die Genossenschaft Boomjahre.

Mehr Platz: 1953 bezieht die EDEKA Minden ein altes Fabrikgelände, auf dem Verwaltung, Lager, Rösterei und Brennerei unterkommen.

Geschäftsführer Georg Teichmann, 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, stockt die Belegschaft zwischen 1950 und 1952 von 40 auf 65 auf. Weil auch das Lager und der größer werdende Fuhrpark mehr Platz brauchen, kauft die EDEKA Minden das Dreiringwerk und zieht 1953 in das ehemalige Fabrikgebäude im Westfalenring 39. Im neuen EDEKA-Haus befinden sich neben Teichmanns Privatwohnung und seinem „Chefzimmer“ Räume für die Registratur und die Buchhaltung, die Verkaufs- und die Rechnungsabteilung, die Telefonzentrale, ein Dekorationsraum, eine Schlosserei und eine Tischlerei.

Made in Minden: ­Neben „Graf Bohni“-Kaffee stellt die EDEKA Minden auch eigene Weine, Schnäpse und Liköre her.

Das Herzstück des neuen EDEKA-Hauses ist das 9.000 Qua­dratmeter große Lager. Es erstreckt sich über drei Etagen und ist mit Wendelrutschen sowie Transportbändern ausgestattet. In der hauseigenen Kaffeerösterei wird die Eigenmarke „Graf Bohni“ hergestellt. Teil des Lagers ist auch die Spirituosen- und Weinkellerei, in der ein Kellermeister Likör und Korn brennt. Außerdem wird Wein aus Fässern in Flaschen abgefüllt. Dazu muss man den Wein mithilfe eines Schlauchs ansaugen: „Wer damit dran war, konnte anschließend gleich Feierabend ­machen“, er­innert sich Mitarbeiter Heinz Stade.

In den Büros im Dreiringwerk ist noch vieles Handarbeit: Rechnungen und Bestelllisten werden einzeln getippt, und wenn einmal im Monat die Löhne bar ausbezahlt werden, muss der Empfang quittiert werden. Mit Schreibtätigkeiten sind Mitte der 1950er-Jahre rund 20 meist weibliche Mitarbeiter beschäftigt. Für die ­EDEKA ­Minden sind außerdem zehn Reisende unterwegs. Mit VW-Bullis besuchen sie regelmäßig die EDEKA-Kaufleute, stellen ihnen aktuelle Artikel vor, nehmen ­Bestellungen auf – und verkaufen manche Waren wie Tee und Kakao ­direkt vom Wagen. Jeden Samstag ­müssen sie in Minden „­antanzen“, und ­Geschäftsführer Teichmann Rapport erstatten, erzählt Dirk Schlüter.

NUR BERGAUF

Die EDEKA Minden im „Wirtschaftswunder“

In der Zeit des Wirtschaftswunders klingeln bei vielen EDEKA-Kaufleuten die Kassen. Neu ist die Technik: Moderne Registrierkassen sind mit einer Druckeinheit für den Kassenbeleg versehen.

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Vorwurf: Wirtschaftssabotage

EDEKAner
IM
FOKUS

Rasch packt Paul Hummel ein paar Kleidungsstücke und seine wichtigsten Papiere. Dann fährt er mit seiner Frau Ilse und der 16-­jährigen Tochter Helga nach Berlin. Am 5. März 1953 überquert die Familie die Grenze in den Westteil der Stadt – und ist in Sicherheit.

Ost-Berlin, Anfang der 1950er-Jahre: An der Sektorengrenze hinter dem Reichstag lässt die DDR-Regierung Hinweise zu ­naheliegenden HO-Geschäften aufstellen.

Mehr als 30 Jahre lang war Paul Hummel Geschäftsführer der EDEKA Königs Wusterhausen. Doch in der sozialistisch ausgerichteten Planwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ist für seine Genossenschaft kein Platz mehr: Weil der Lebensmittelhandel über die 1948 ge­gründete staatliche Handelsorganisation (HO) und die Konsumgenossenschaften ­abgewickelt werden soll, werden die EDEKA-­Genossenschaften kaltgestellt und dürfen seit 1952 ­keine Waren von volkseigenen Betrieben kaufen.

In den Schaufenstern der ostdeutschen Konsum-Geschäfte, wie hier in der Verkaufsstelle in der Haldenslebener Hagenstraße, sind neben den Waren immer wieder auch Propagandabanner zu sehen.

Ende 1952 führen die Behörden eine „Großaktion mit dem Ziele der endgültigen Liquidierung“ durch und verlangen von Paul Hummel „die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebes, die Übergabe der Büro- und Lagerräume und des Fuhrparks an die HO“, wie er später berichtet. Als ­Hummel sich weigert, erscheinen in seinem Büro „10 Beauftragte der Geheimen ­Staatskontrolle, der Kriminalpolizei und des Finanzamtes zur Überprüfung“. Unter vier Augen sagt ihm ­einer der Männer, dass EDEKAner in anderen ­Teilen des Landes „unter den fadenscheinigsten Vorwänden“ verhaftet und wegen „Wirtschaftssabotage“ verurteilt worden seien. Paul Hummel ­zögert nicht lange – und flieht mit seiner ­Familie in den Westen.

Geteilte Warenwelt

Die Deutsch-deutsche Markenwelt

Wie das Land, so teilt sich auch die deutsch-deutsche ­Markenwelt. In beiden deutschen Staaten werden ­Produkte in den 1950er- und 1960er-Jahren beworben, um für mehr Konsum zu sorgen. Doch ­anders als im Westen endet in der DDR um 1975 die Produktwerbung.

  • West
  • Ost

Bediene Dich selbst!

TEMPO!
TEMPO!

In den 1950er-Jahren verändert sich der Lebensmitteleinzelhandel in der Bundesrepublik grundlegend: Nachdem Supermarkt-Pionier Herbert Eklöh bereits 1938 nach amerikanischem Vorbild in Osnabrück das erste deutsche Selbstbedienungsgeschäft eröffnet hat, breitet sich die neue Verkaufsmethode nun rasant aus.

Beim Schlendern durch die Regalreihen der modernen Selbstbedienungsgeschäfte packen die Kunden oft zusätzlich Produkte ein, die sie eigentlich gar nicht auf dem ­Einkaufszettel hatten. Den EDEKA-Kaufmann freut’s.

1953 stellt in Saarbrücken erstmals ein EDEKA-Markt auf Selbstbedienung (SB) um. Andere Kaufleute bieten zunächst nur einen Teil der Waren in Selbstbedienung an, so die Familie Preuß, die 1954 ihr Stammgeschäft in Barkhausen mit ­Regalen für einige vorverpackte Produkte zu einem „Tempo­laden“ umrüstet. 1957 setzen immer mehr ­EDEKAner im Gebiet der heutigen EDEKA Minden-­Hannover komplett auf SB, darunter auch Hinrich ­Schröder in Schwitschen am Rand der Lüneburger ­Heide: „Im April gilt es nun Abschied zu nehmen vom alten ­Ladentresen, an dem mein Großvater schon seine Kunden ­bediente. Wer wie ich (…) stark in der Tradition verwurzelt ist, dem fällt solch ein Schritt nicht leicht.“ Die Vorteile für die Kaufleute liegen jedoch auf der Hand: Weil sie nicht mehr jeden Artikel selbst abwiegen und ­verpacken ­müssen, sparen sie Zeit – und Kosten. Ein SB-Laden wirft bis zu 30 Prozent mehr ab als ein Bediengeschäft. Aus Käufersicht spricht für die neuen Märkte, dass der Einkauf zügiger vonstattengeht: „Tempo! Tempo! ist die Devise unserer Zeit! Der Erfolg im Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft wird weitgehend davon abhängen, wie schnell der Kunde abgefertigt wird“, so die „handelsrundschau“. Zwischen 1958 und 1964 steigt im EDEKA-Verbund der ­Anteil an SB-Läden von 17 auf 30 Prozent. Bei der EDEKA Minden-Osnabrück ist 1964 bereits jedes zweite Geschäft ein SB-Markt.

Hand in Hand mit der Umstellung auf SB geht die Ausweitung des Sortiments. Nach der „Fresswelle“ in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre rückt nun manch ein Bundes­deutscher seinem „Wohlstandsbauch“ mit Diätprodukten, wie Cornflakes und Leinsamen, zu Leibe. Daneben haben frisches Obst und Gemüse Hochkonjunktur, vor allem Südfrüchte wie Bananen. Als eine der ersten Genossenschaften verfügt die EDEKA Minden 1956 über eine entsprechende „Spezial-Abteilung“.

In den Wirtschaftswunderjahren sind Südfrüchte kein uner­schwinglicher Luxus mehr. 1960 ­beliefern zehn Spezial­fahrzeuge der EDEKA Minden die Kaufleute unter anderem mit frischen Grapefruits und ­Bananen.

Bei immer mehr EDEKA-Kaufleuten erhältlich ist auch Tiefkühlkost (TK). Nachdem tiefgekühlte Waren erstmals 1955 auf der „Allgemeinen Nahrungs- und Genuss­mittel-Ausstellung“ (Anuga) in Köln vorgestellt wurden, treten sie mit der zunehmenden Verbreitung von Kühlschränken in bundesdeutschen Haushalten rasch ihren Siegeszug an. Weil bei tiefgekühltem Obst und Gemüse das zeitraubende Putzen entfällt und bei TK-Fleisch das Ausnehmen, empfiehlt der EDEKA Verband die Auf­nahme ins Sortiment: „In der heutigen Zeit nämlich will die Hausfrau es sowohl beim Einkaufen als auch bei der Zubereitung der Gerichte in ihrer Küche so einfach und so bequem wie möglich haben – und dabei hilft ihr die Tiefkühlkost.“ Als Vorreiter baut die EDEKA Minden 1956 im Dreiringwerk einen TK-Raum als „‚modernste Speisekammer‘ für tausende fortschrittliche Verbraucher“ ein und beliefert mit einem „Tiefkühl-Spezialfahrzeug“ die ersten 130 Tiefkühltruhen in den Mitgliedsgeschäften. Bis 1964 steigt ihre Zahl auf 700. Damit bieten 97 Prozent der EDEKA-Märkte Tiefkühlkost an.

Die Fusion zur EDEKA Minden-Osnabrück

1961

Am 24. August 1961 schließen sich die EDEKA Minden und die EDEKA Osnabrück zusammen – ein „Novum auf Bundesebene“, so Geschäftsführer Georg Teichmann.

Nach der Fusion: Der Fuhrpark der EDEKA Minden-Osnabrück Mitte der 1960er-Jahre.

Beide Genossenschaften sind davon überzeugt, dass den immer größer werdenden Industriepartnern starke Handelsbetriebe gegenüberstehen sollen. Beim EDEKA Verband sieht man das allerdings anders. Als EDEKAner der alten Schule fürchtet Verbandsdirektor Paul König, bei einem Zusammenschluss in dieser Größenordnung könne die genossenschaftliche Basis leiden: „Was Sie tun, ist nicht aufbauen, sondern zerstören.“

1962 betritt die frisch fusionierte EDEKA Minden-Osnabrück gleich zweimal Neuland: In Bad Oeynhausen eröffnet der „MIOS-Großhandel“, der erste Cash-and-­Carry-Markt (C+C-Markt) der Genossenschaft, in dem sich unter anderem Großkunden aus der Gastronomie und Hotellerie sowie Betreiber von Tankstellen, Kiosken und Krankenhäusern eindecken können. Im selben Jahr entsteht mit dem „MIOS Discounthaus“ in Minden erstmals ein 180 Quadratmeter großer Gemeinschaftssupermarkt, an dem neben der EDEKA Minden-Osnabrück 20 EDEKA-Kaufleute beteiligt sind. Der Erfolg gibt der ­Genossenschaft Recht: Mit einem Jahresumsatz von 96 Millionen D-Mark steht die EDEKA Minden-Osnabrück 1963 auf Platz eins im EDEKA-Verbund.

Der Zusammenschluss zur EDEKA Minden-Osnabrück ist der Auftakt für weitere Fusionen auf dem Gebiet der heutigen EDEKA Minden-Hannover: 1964 verschmelzen die EDEKA Bremen und die EDEKA Delmenhorst, 1965 gehen die Genossenschaften in Hildesheim und Alfeld zusammen. Gleichzeitig entwickeln sich die Regionalgenossenschaften zu „Full-Service-Genossenschaften“, so die EDEKA Minden-Osnabrück in ihrem Jahresbericht 1965. Das heißt: Neben dem gemeinsamen Einkauf unterstützen sie die Mitgliedsgeschäfte bei der Ladengestaltung, der Buchhaltung sowie beim Bilanz- und Steuerwesen und pflegen den Kontakt zu den Verbrauchern. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Werbung. 1964 investiert die EDEKA Minden-Osnabrück über 620.000 D-Mark in Reklame, unter anderem in Inserate in 21 verschiedenen Tageszeitungen und 250.000 Flugblätter.

In den 1960er-Jahren schaltet sich die ­EDEKA Minden-Osnabrück in die Werbung ein. Die Hausdruckerei versorgt die Kaufleute mit Flugblättern und Plakaten.

Schlaflose Nächte

Unruhig wälzt sich EDEKA-Kaufmann Heinz­ Schlüter hin und her. Er findet keinen Schlaf. Denn die ­EDEKA Minden-Osnabrück will in Eigenregie ein großes SB-Warenhaus errichten – und das in Herford, in unmittelbarer Nähe zu seinem eigenen Geschäft.

Mit seinen 3.650 Quadratmetern Verkaufsfläche liegt das 1968 eröffnete „City-Einkaufszentrum“ voll im Trend: Zwischen 1965 und 1970 entstehen in der Bundes­republik 650 großflächige Supermärkte. Für die Kunden ist das SB-Warenhaus mit seiner riesigen Auswahl eine „Einkaufsrevolution“: Neben einer großen Obst- und Gemüse­abteilung gibt es eine Käsetheke mit mehr als 100 verschiedenen Sorten. Außerdem verfügt der Markt als ­einer der ersten im Absatzgebiet der ­EDEKA Minden Osnabrück über eine Frischfleischtheke mit Wurst und Fleischwaren aus der 1967 errichteten genossenschaftseigenen Zen­tral­fleischerei. Als zwei ­Kollegen von EDEKA-Kaufmann Heinz Schlüter, die Aufsichtsrats­mitglieder Herbert Ohler und ­Bruno Reis, das „City-Einkaufs­zentrum“ kontrollieren, sind sie mehr als ­zufrieden: Der Markt ­mache „einen betont gut aufgeräumten und sauberen Eindruck“ und werde „von ­straffer Hand geführt“, vermerken sie im Prüfungsprotokoll.

Die befürchteten Auswirkungen auf die EDEKAner im Umfeld bleiben aus. Auch Heinz Schlüter reagiert flexibel in Sortiment und Dienstleistung und kann wieder ruhig schlafen.

Kundenandrang im Herforder City-Einkaufszentrum, um 1970.

Umzug in die Wittelsbacherallee

Anregungen für den Neubau ihrer Zentrale holt sich die Leitung der EDEKA Minden-Osnabrück auf einer Studienreise durch die USA.

Beim Umzug 1964 schaffen 58 Lkw in 48 Stunden rund 4.000 Tonnen Ware vom Dreiringwerk in die Wittelsbacherallee.

Mit 10.000 Quadratmetern Fläche und 8.000 Palettenplätzen ist das neue Lager für damalige Verhältnisse gigantisch groß.

Drei- bis viermal pro Woche lädt die EDEKA Minden-Osnabrück interessierte Kundinnen zu einer Besichtigung ein. Höhepunkt der „Hausfrauen-Nachmittage“: eine Runde des legendären MIOS-Cocktails, bestehend aus Rum und Orangensaft.

EDEKA-Lied

Den Refrain „Umsatz, Umsatz, Umsatz täterä“ schmettern die Mitglieder des Aufsichtsrats vor ­jeder Sitzung.

Das EDEKA-Lied entsteht in einem Jahr mit „zwei besondere[n] Meilensteine[n]“, so der Geschäftsbericht 1964. Im September zieht die EDEKA Minden-Osnabrück in die Wittels­bacherallee 61, bis heute Sitz der Genossenschaft. Am Jahresende gibt es ein zweites Mal Grund zu feiern: Mit 107 Millionen D-Mark ist der Umsatz erstmals neunstellig – Rekord im EDEKA-Verbund. Als Dankeschön lässt die Geschäfts­führung silberne Gedenkmünzen für die Mitarbeiter prägen und verteilt Postkarten mit dem EDEKA-Lied: „Wir halten fest und treu zusammen. Hipp hipp ­hurra, die EDEKA.“